Donnerstag, 1. Oktober 2015

Brief aus der Todeszelle !

Wir verurteilen Mörder zum Tode, was uns selber zum Mörder macht !

Tagtäglich werden Menschen hingerichtet, für die unterschiedlichsten ,,Straftaten", doch warum ?
Sind wir uns zu bequem das Problem an der Wurzel anzupacken,anstatt es einfach auszulöschen ? Sind wir zu sehr sozial programmiert,dass wir auf Knopfdruck wissen was angeblich falsch oder richtig ist, ohne einmal eigenständig darüber nachgedacht zu haben ?
Gründe gibt es viele und sie sind bei jedem auch individuell und anders, jedoch kann ein Perpektivenwechsel manchmal helfen aus seiner Scheinobjektivität zu erwachen oder zumindestens aus der sozialen Programmierung. 
Im folgenden werde ich dir einen Brief aus der Todeszelle von Hamed Ahmadi vorstellen, der am 4.März 2015 im Iran hingerichtet wurde.

" An einem kalten Herbstmorgen im November 2012 weckten sie mich auf und sagten, ich würde ins Sanandadsch-Gefängnis[Provinz Kordestan]verlegt werden. Normalerweise werden zum Tode verurteilte Personen nur zur Vollstreckung der Strafe verlegt. Ich fühlte, wie der Schatten der Hinrichtung sich auf mich legte. Alle Insassen des Trakts wurden versammelt. Damals befanden sich zehn Menschen im Todestrakt. Einige weinten, andere waren in Gedanken versunken. Wir dachten, dass man uns vielleicht einfach verlegen würde, doch die erniedrigenden Blicke der Wärter verrieten etwas anderes. Sie legten uns allen Handschellen und Augenbinden an, schoben uns in einen Bus und verhöhnten uns.
Ich versuchte mir eine schöne Erinnerung vor Augen zu rufen, um Kraft zu schöpfen. Aber es ist schwer, an Glück zu denken, wenn man sich an der Schwelle zum Tod befindet. Als wir ankamen, beförderten sie uns aus dem Bus und warfen unsere Habseligkeiten auf den Boden, der vom Regen ganz schlammig war. Sie tauschten unsere Metallhandschellen durch welche aus Plastik aus, zogen sie jedoch so fest, dass sie bei einigen blutende Einschnitte verursachten. Sie nahmen uns die Augenbinden ab und brachten uns in einen Raum, dessen Wände mit handschriftlichen Nachrichten von Menschen übersäht waren, die man vor ihrer Hinrichtung dorthin gebracht hatte. Wir nahmen die Gebetswaschung vor und beteten für Frieden und Trost.
Ich begann mich zu fragen, ob ich meine Tochter wohl je wiedersehen würde. Als sie geboren wurde, konnte ich nicht dabei sein. Ich bat Gott darum, meiner Familie Kraft zu geben und hoffte, dass sie mir wenigstens erlauben würden, mich von ihnen zu verabschieden.
Die Tür öffnete sich. Unsere Herzen begannen zu rasen. Der Alptraum vom Tod würde jetzt zur Realität werden. Sie trennten uns voneinander. Der Mut verließ uns und unsere Ängste übernahmen immer mehr die Kontrolle. Die Zeit verging langsamer als je zuvor in unserem Leben. In der vorherigen Nacht war im Fernsehen eine Dokumentation über uns übertragen worden. Alle waren der Ansicht, dass dies ein Zeichen dafür war, dass unsere Urteile bald schon vollstreckt würden.
Es sind jedoch danach noch 45 Tage vergangen. An jedem dieser Tage rechneten wir damit, dass man uns am nächsten Tag hinrichten würde. Aber niemand holte uns. Wir gingen 45-mal dem Tod entgegen. Wir verabschiedeten uns 45-mal vom Leben.
Gerade als wir begannen zu hoffen, dass wir nicht hingerichtet würden, als wir uns wieder erlaubten, an das Leben zu denken, erschienen unsere Namen auf der Liste der Personen, die in das Raja'i-Shahr-Gefängnis verlegt werden sollten. Erneut der Alptraum vom Tod. Erneut das wiederkehrende gedankliche Bild eines Mannes, der am Galgen baumelt. Dort angekommen, gaben sie uns hellblaue Kleidung. Die ist für die Häftlinge bestimmt, die hingerichtet werden sollen. Nicht eine Sekunde lang hatte ich etwas anderes vor Augen als dieses Bild der Hinrichtungsszene. Drei Tage vergingen.
Ich verlor jegliche Orientierung. Mein Hirn funktionierte nicht mehr.

Ich schlug ununterbrochen gegen die Tür und forderte laut schreiend, dass jemand kommen und meine Fragen beantworten soll. Warum sind wir hier? Meine Familie macht sich Sorgen. Erlaubt mir wenigstens, jemanden anzurufen. Endlich durfte ich einen Anruf tätigen. Als sie meine Stimme hörte, fing meine Schwester an zu weinen: "Du lebst? Der Abgeordnete für Sanandadsch hat angerufen und behauptet, dass ihr alle hingerichtet wurdet." Sie hatten bereits eine Trauerfeier für uns abgehalten.
Danach rief ich meinen Bruder an. Er befand sich vor dem Gefängnis. Ich fragte ihn, ob er von den sechs Personen gehört habe, die sich nicht mehr bei uns befanden. Er weinte und sagte: "Sie haben sie heute gehängt und die Leichen nicht freigegeben." Ich verlor die Kontrolle und fing an zu weinen und zu schreien. Die Männer, mit denen ich dreieinhalb Jahre in einer Zelle gelebt hatte, waren einfach nicht mehr da. Ich konnte es nicht fassen. Ich fühlte mich zerrissen und zerbrochen. Man hatte ihnen nicht einmal die Chance gegeben, ihren Familien Lebewohl zu sagen.

Die drohende Hinrichtung begleitete mich und meine Familie jede Sekunde. Meine Familie wurde mit mir immer und immer wieder hingerichtet. Erhielten sie einen Tag lang keine Nachricht von mir, so kamen sie sofort zum Gefängnis und dachten, dass es vorbei sei … Man hielt uns in einer Situation fest, in der sich jede Minute so anfühlte, als hätte man uns eine Schlinge um den Hals gelegt."


Quelle: Amnesty International  


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